Foto: Ronny Küttner/photoron

Presse
Auch Engel haben manchmal kalte Füße

Zwei Flügel. Mehr braucht es kaum, um den Betrachter und Leser auf den Inhalt dieses Buches aufmerksam zu machen. "Engel" heißt es. Und genau darum geht es auch - in den Bildern, Geschichten, Gedichten.

Annaberg-Buchholz.
Ein Katalog, ein Buch? Ja, was ist es nun eigentlich? Eine klare Definition lässt sich kaum finden für das, was der Künstler Jörn Michael in Zusammenarbeit mit Reinhold Lindner erarbeitet hat. Man kann es nur umschreiben, vielleicht mit dem Wort Kaleidoskop. Sprache wechselt mit Bildern, Bilder mit Bildern, Bilder mit Sprache, Sprache mit Sprache. Was bleibt ist ein Gefühl und die Hoffnung: Es muss sie einfach geben - diese Engel. In welcher Gestalt auch immer. Engel: Damit sind wir beim Thema. Unter diesem Titel zeigt der Annaberg-Buchholzer Künstler Jörn Michael einen Teil seiner Arbeiten. Punkt um Punkt entstehen bei ihm die Figuren, denen eines gemein ist - sie tragen Flügel. Und um Engel drehen sich auch die Texte, die von Reinhold Lindner, Matthias Zwarg, Jörg Seifert und Roland Unger geschrieben wurden. Doch warum gerade Engel? "Die Idee dazu kam Reinhold Lindner und mir während der Zusammenarbeit zu 'Ode an Sisyphos'", erzählt Jörn Michael. Auch dieses Buch ist mehr als eine reine Werkschau, in der Michael unter anderem seine aus abertausenden Punkten bestehenden Tusche-Zeichnungen, seine zu Kunst gemachten Kuchenpappen, Radierungen, Fotografien, Collagen ... präsentiert. Doch für Engel blieb darin kaum Platz. Dabei gehören sie für Jörn Michael sein Leben lang dazu. Nicht zuletzt deshalb, weil Michael eben ein Kind des Erzgebirges ist. Bergmann und Engel - kaum wegzudenken aus den Wohnzimmern. Und auch bei ihm zu Hause sind sie da, die hölzernen Engel. Glaubt er auch an sie? "Ich finde die Idee von Engeln schön", so der Künstler. Wer könnte dem widersprechen. Auch in dem Kaleidoskop, in den Texten und Bildern geht es nicht in erster Linie um die biblischen Vorbilder. Auch Menschen können Engel sein, und Engel können menschlich sein. In der Bildsprache von Jörn Michael bekommen sie eben auch mal kalte Füße, weshalb sie geringelte Wollsocken angezogen bekommen. Sie bringen Träume, sind schüchtern, bringen Licht, krallen sich an Sterne. Auch Menschen können das. "Jörn Michael nimmt den Engel für bare Münze, denn er stellt ihn bildhaft mitten ins Leben", schreibt Reinhold Lindner zu Beginn des Buches. Er sei damit in guter Gesellschaft, "denn die Kunst machts möglich, Tausende von Jahren schon", so Lindner. Überhaupt sind Engel allgegenwärtig und das nicht nur im Erzgebirge als Begleiter des Bergmanns. Selbst auf Plattencovern von Metal-Bands sind sie zu finden, und Jörn Michael macht auch daraus Kunst. Da bekommt der Begriff "Engel-Musik" gleich eine ganz andere Bedeutung. Flügel brauchen sie eigentlich nicht, doch um sie darstellen zu können, sind Flügel ein beliebtes Mittel, dessen sich auch Jörn Michael bedient. Zwei Flügel, viele Engel, ein Buch. Warum diese Form, warum keine Ausstellung zu dem Thema? Letzteres wird noch kommen. Wenn alles klappt im Sommer, in Jöhstadt, im Pfarrhaus. Die Eröffnung soll im Pfarrgarten stattfinden. Natur, Engel, freier Blick auf den Himmel. Allein schon mit dem Wort werden Assoziationen geweckt. Doch eine Ausstellung ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass für Jörn Michael Kunst sehr gut zwischen zwei Buchdeckel passt. Vervielfältigt heißt eben nicht beliebig, sondern vielleicht einfach transportabel, sicher verpackt, von außen und innen beflügelt. Außerdem verschafft ein Buch Zeit, vor allem für den Betrachter. Zeit, die Bilder und Texte zusammenzubringen. Zeit, die Geschichte von Helmut dem Taxifahrer zu lesen, der sich in den Engel Mona Lisa verliebt. Zeit für ein Gedicht, ein Bild, die Punkte. Zeit, das Kaleidoskop zu drehen, damit sich ein neues Bild offenbart. Das Buch "Engel" ist unter anderem auf dem Weihnachtsgrafikmarkt, der vom 10. bis 15. Dezember täglich 16 bis 18 Uhr stattfindet, im Kunstkeller Annaberg erhältlich. Auch über den Künstler selbst können Exemplare erworben werden.


Denise Märkisch
Freie Presse Annaberg
vom 26.11.2018