Die Wirkung tausender Tuschepünktchen
Die von Jörn Michael in der aktuellen Ausstellung präsentierten künstlerischen Techniken muten von Ferne gesehen eher unspektakulär an: Er zeigt Malerei, Fotografie, Tuschezeichnungen, Plastiken und Linolschnitte. Doch diese profane Aufzählung verschweigt, was der Annaberger Künstler jeder dieser Ausdrucksformen an Neuem, an Außergewöhnlichem und Uberraschendem abzuringen vermag.
Die fragil-diffusen Motive der Tuschezeichnungen entstehen nicht durch Linien, sondern durch tausende, winzig kleine Tuschepünktchen. Der nebulöse Charakter wird zudem durch die Motive verstärkt, welche nie endgültig im Konkreten verhaftet sind, mit Andeutungen hingegen nicht geizen. Es finden sich vornehmlich Figuren und Gesichter. Die zweifache Signierung mancher Blätter deutet darauf hin, dass sie auch auf den Kopf gestellt noch auf den Füßen stehen, dann aber eine andere, stimmige Figur zeigen.
Den offensichtlichen Kontrast zu diesen zurückhaltenden Blättern bildet die großformatige, oft flächige Malerei und die sehr eigenwillige Fotografie. Wobei speziell die Fotografie als solche nicht sofort erkennbar ist. Obwohl unverändert, also keineswegs am Computer bearbeitet, bilden die Fotos von Jörn Michael keine offensichtlich ekennbare Wirklichkeit ab. Die Fotos wirken eher wie eine höchst gelungene, abstrakte Malerei. Ungewöhnliche Motive, ungebräuchliche Belichtungszeiten, unerwartete Spiegelungen sorgen einerseits für grafische Strukturen und wirkungsvolle Farbigkeit, andererseits allerdings sind die Motive nur ausnahmsweise und mit viel Fantasie zu erahnen.
Richtig zur Geltung kommen die außergewöhnliche Motive zudem durch den Ausdruck auf sehr großformatige Aluplatten. Dabei spielt der Künstler immer auch gekonnt mit Worten. So nennt er eine kaum entschlüsselbare, aber höchst wirkungsvoile Fotografie "Post mururm sornnii" (Hinter den Mauern des Schlafes). Mit einer kleinen Auswahl an Plastiken zeigt Jörn Michael, dass er sich auch auf diesem Gebiet absolut stilsicher bewegt. So sind verschiedene glasierte und unglasierte Köpfe aus Ton zu sehen. Mythische Figuren wie der Midas sind dabei ebenso thematisiert, wie die sehr heutige, moderne "Frau K.". Birgit Reichert (Sonnenberg-Presse Lichtenau), die zur Vernissage die Laudatio halten wird, beschreibt die Werke Michaels: "Seine Arbeiten sind oft ein Spiel mit dem Zufall. Und es fällt auf, dass letztlich immer der Mensch im Zentrum steht."
Christina Zehrfeld
Freie Presse Stollberg
vom 23.06.2017