Die Konditorei der Bilder
In der Manufaktur der Träume Annaberg stellt der Maler Jörn Michael verblüffend bemalte Kuchenpappen aus. Ein knallroter Kopf vor blauem Hintergrund ist zum Beispiel da zu sehen. Der Bienenstich war's!
ANNABERG-BUCHHOLZ – Die Verlaufs spuren der Kuchenvertilgung tendieren zum Blauwerden. Blau angelaufen, nachdem der Kuchen seinen Aufenthaltsort verlassen hat. Nicht zu glauben, was vom Kuchen übrig bleibt auf den Pappdeckeln, die gar keine Deckel sind, sondern Unterlagen, Halb-Fest-Platten für den Kuchentransport nach Hause, wohin auch immer, Ganz-Fest-Platten als Informationsträger, wie man sieht Und zwar bei dem Annaberger Künstler Jöm Michael Bei Kaifee und Kuchen bleibt gewöhnlicherweise der Kaffeesatz das Medium der Selbstbefragung. Michael aber guckt über den Tassenrand und entdeckt die Kuchenpappen als Chips: Das Auge des Grafikers, des Malers, sieht Fettreste, Schoko- und Obstspuren anders.
Für den Entsorgungsbewussten ist es lästiger, womöglich klebriger und krümeliger Restmüll des Backprozesses. Der Künstler indessen macht feine Rahmen drum herum und hängt sie im neuen Nobeletablissement "Manufaktur der Träume" in Annaberg an die Ausstellungswände. Und wenn schon Träume, dann hier und auf den Kuchen- Pappdeckeln.
Eiersschecke, Quark-Apfel, Mohn, guter Butter und Schmand, Stollenteig. Schwarzwälder Kirsch und Holländer (geschnitten). Warum das so sehr zum Blauen tendiert, ist sein Geheimnis, aber blau ist verblüffend gut als Assoziation, auch dann, wenn gar kein Blaubeer-Kuchen im Verzehr-Spiel war. Denn das ist nun das Spannende, zusehen, wo das hinführen kann, wie das Fett die Farbe abweist oder nicht, wohin das verläuft, sich verdichtet und verdünnt, wo sich Gebilde ergeben, wo sich Physiognomien herausformen oder lineare Strukturen. Und nun kommt die Kunst: diese "Angebote" zu erspüren, auszuformen und – auszudeuten. Denn zum Bildhaften kommt nun entweder ein bezeichnendes Wortspiel oder eine geheimnisvolle römisch-numerische Registratur, der Kuchen ist in der Schreibweise immer abgeteilt, das Gefühl von Spielerei lässt sich so und so nicht verleugnen.
Am 10.3.2010 jedenfalls war Bienenstich schuld, dass in der Bildserie der Posten "KU-CHEN # CDXLIII" auftauchte und den Namen Paul bekam. Eine angeschwollene Physiognomie, knallrot. Vor blauem Hintergrund. Sehr malerisch. Manchmal bleibt's auch beim schwarz-weißen Kontrast, das sind in punktuellen Linien offenbar die bleibenden Reste von den Kuchenkrümeln, muss sehr fettarm trocken gewesen sein, zugeflogen oder zugetragen von Kuchenfreunden.
Harlekine, Gaukler, Puppen Es ist verblüffend, was Jörn Michael an Bildwirkungen hervorbringt Bildträger, vorbehandelt vom reinen Zufall, ist ja auch schon Bildmaterial, weil die Spuren unverrückbar drauf sind auf der Pappe. Was sich nun ergibt im malerisch-grafischen Umgang, dürfte kaum vorhersehbar sein. Oft sind es in den figürlichen Anklängen Harlekine. Gaukler oder puppenhafte Wesen, in Konstellationen des Farbverlaufs sphärische Erscheinungen, visionäre Blicke in die Ewigkeit oder auf die Orte der Götter. Der Feuer-Stifter Prometheus kehrt da zurück, oder das Flug-Wesen Ikaros schwebt über den Wassern und Ländern.
Vielleicht erklärt sich die Tendenz zum Blauen aus der Natur der Backzutaten, im ersten Kontakt mit Wasserfarben bewölkt sich der Kuchendeckel, das Blau liegt immer am nächsten. Alles eine Frage der Fantasie, hier ist sie wirklich in einer Manufaktur der Träume zu Hause , diese Konditorei der Bilder.
REINHOLD LINDNER, FP 27.4.2011